Wimpfen am Neckar

Ein Essay  von Hans Hermann von Wimpffen

Eine Stadt ist so alt, wie die Erinnerung der Menschen.Wie alt ist die Stadt, über die in diesem Essay berichtet werden soll, die ehemalige Reichstadt Wimpfen am Neckar?
Auch sie ist nicht älter als die Erinnerung der Menschen, die im Verlauf von Jahrhunderten in ihr gelebt haben. Wie viele Arten von menschlichen Schicksalen, wie viele Kulturen, wie viele zerstörten Kulturgüter liegen unter der Erde der heutigen Stadt Bad Wimpfen am Berg und Wimpfen im Tal begraben? Kelten, Römer, Alemannen, Franken – was ist von ihnen geblieben?

ZU ERST KAMEN DIE RÖMER
An einem sonnigen Tag im Juni des Jahres 84 v.Chr erschienen die ersten Vorhuten der VIII. Legion Augusta Gallica vor den großen Ringwällen einer Bergfestung am Ufer des Neckars. Es sind Reiter der in Aquitanien,im heutigen Südfrankreich stationierten Cohors III Aquitanorum equitata. An die 100 Reiter und über 300 Infanterietruppen. Im grellen Sonnenlicht wirken die glitzernden Brustpanzer, die prächtigen Helme mit ihren roten Helmbuschen, das blitzen und Leuchten der mitgeführten Standarten, die Feldzeichen mit dem Capricornus, dem Steinbock furchterregend. Die Reiter sind die ersten Vorboten einer heranrückenden römischen Eroberungsarmee. Sie hat die Aufgabe, die Grenzen der römischen Provinz Germania superior zu sichern und weitere Eroberungen Richtung Norden vorzubereiten.

Vor der Bergfestung macht die Truppe Halt, einige Reiter werden vorgeschickt, das Gelände zu erkunden. Auf dem Weg treffen sie auf die Abschnittswälle, die den ganzen Bergwipfel, das ganze Bergplateau vor Angriffen schützen sollen. Aber es gibt hier niemanden, der den römischen Soldaten Widerstand leisten könnte. Die Bergfestung,in der die keltische Bevölkerung friedlich ihr Tagewerk verrichtet, wird ohne Kampf besetzt. Tage später meldet der Kommandeur der Reiter an den Legaten, dem Befehlshaber der Legion die Besetzung des Ortes mit dem für die römische Zunge unaussprechlichen Namen “uimpe” und dieser ordnet an, sogleich mit der Errichtung eines Militärstützpunktes zu beginnen. Der Ort Wimpfen am Neckar tritt das erste mal ins Licht der Geschichte.

Und es geschieht etwas Unerwartetes: die gefürchtete Besatzungsmacht plündert nicht, sie zerstört nichts, sie vergewaltigt nicht die Frauen, sie tötet nicht die Druiden, die Priester; sie beginnt statt dessen zu bauen: Häuser, Strassen, Tempel, Schwimmbäder, Turnhallen. Und noch etwas versetzt die Bewohner ins Staunen: die römischen Soldaten tragen keine Hosen und laufen in Schnürsandalen herum. Oben martialisch, unten eher friedlich. Was werden die wohl tun, wenn der “General Winter” Germaniens hereinbricht ?- denkt der einfache Kelte, der warme, knöchellange Wollhosen trägt. Oder ziehen die bald wieder ab, nach einem erfolgreichen Blitzkrieg? ( nach dem Motto:”Zu Weichnachten sind wir Daheim”) Doch niemand bei den Römern denkt an einen Rückzug. Die Soldaten sind die ersten, die in die Hände spucken. Die Bevölkerung schaut erstaunt zu, und sie arrangiert sich mit den Machthabern. Und sie beginnt mehr oder weniger freiwillig mitzubauen, nicht wie die Römer aus Stein und Marmor, sondern aus Holz und Lehm: das Fachwerk feiert hier seine Geburtsstunde. Nicht der Maurer, sondern der Zimmermann wird in den folgenden Jahrhunderten der wichtigste Architekt in dieser Gegend. Auch die Integration, eine Art Nebeneinander, eine Cohabitation mit den heimischen Kelten schreitet schnell voran: schon Jahre später stellen die Kelten der Germania superior zahlreiche Elitetruppen der römischen Legionen. Man kann wohl mit recht von einer beispielhaften .Jntegrationspolitik” sprechen. Die Kelten, die die Gegend bevölkern und in recht primitiven Behausungen leben, sind die letzten Nachfahren eines ehemals mächtigen Volkes, das Europa vom Schwarzen Meer bis zur Marne bevölkerte, ohne jemals richtig geherrscht zu haben .. Manche Historiker bezeichnen die Kelten als ein “rätselhaftes Volk” – rätselhaft, weil man nicht viel über die Kelten weiß. Sie waren überall und doch nirgends. Sie waren einfach da, während fünfhundert Jahre im frühen Mittelalter. Sie wurden nicht verjagt, nicht vertrieben, sie gingen einfach unter, wurden assimiliert, überlagert. Ihre Sprache wurde in Süddeutschland noch unter Karl dem Großen gesprochen, doch keiner wusste so recht, um was für eine Sprache es sich gehandelt hat. Einige Name ihrer Oberschicht, des Adels sind überliefert und sie klangen schon den Zeitgenossen fremd, ungewöhnlich: Vercingetorix, Orgetorix, Ambiorix, Dumnorix, Cuchulainn. Zweitausend Jahre später liefern diese keltischen Heldengestalten für die beiden Franzosen Rene Goscinny und Albert Uderzo die Vorlage zu den Comic-Figuren Asterix, Obelix und Idefix. Wahrscheinlich wissen die wenigsten Leser, dass es sich um Kelten gehandelt hat. Sie leben fort als Gallier.

Mit den Römern kommt Kultur in das eroberte Gebiet. Neben dem Kastell, eine Art Waffenplatz für das Militär, werden Häuser für die aus Italien, Spanien, und Gallien nachziehende und ansässige Zivilbevölkerung gebaut. Strassen werden verlegt, über den Nicer – so der keltische Name des Neckars – eine feste Brück geschlagen, ein Tempel für die Göttin Diana und Iupiter, dem Höchsten am römischen Götterhimmel errichtet, eine beheiztes Bad für die Bevölkerung angelegt. In einigen Jahrzehnten entsteht ein Vicus, eine römische Kleinstadt, die, statt des unaussprechlichen keltischen Namens erst einmal Villa Cornu heißt, (nach dem Feldzeichen der VIII. Legion ), Vorläuferin des heutigen Stadtteils Wimpfen im Tal. Doch der ursprüngliche keltische Namen der Siedlung verschwand, wahrscheinlich für immer, wie die Namen der meisten keltischen Siedlungen in Germanien. Nur wenige wurden in der von den Römern latinisierten Form überliefert: Cambodunum, Brigantium, Tarodunum, Brisiacos, um später dann “eingedeutscht zu werden: Kempten, Bregenz, Freiburg, Breisach …

An die 400 Jahre dauert die Besatzungszeit der Römer. Eine unvollstellbar lange Zeit für eine Besatzung durch eine Feindesmacht? Sicher. Vor allem wenn man sie mit den “Reichen” des XIX. und xx. Jahrhunderts vergleicht. Doch ist die Frage erlaubt, ob diese Besatzungszeit auch eine Zeit nur der Unterdrückung, nur der Ausbeutung, der Drangsalierung, der Versklavung der einheimischen Bevölkerung war, wie dies gerne von einer “national” gesinnter Geschichtsschreibung dargestellt wurde. ? Wenn man bedenkt, welche Kulturlandschaft durch die Römer geschaffen wurde, von Britannien bis zum Schwarzen Meer, so kann man den Untergang dieses Imperiums nur bedauern. Denn als die römischen Adler sanken, sank mit ihnen auch die römisch Kulturleistung, die römischer Kunstsinn in 400 Jahren geschaffen hat. Und es dauerte, leider, wiederum 2000 Jahre, bis Pizza und Lasagne wieder heimisch geworden sind in Germanien.

DANN KAMEN DIE ALEMANNEN
Sie staunten nicht schlecht: vor ihnen “blühende Landschaft”, friedliche Spaziergänger auf gepflasterten Strassen, Gebäude im römischen Stil, Bodenheizung, Bäder. Wofür das alles, fragten sie sich und begannen mit der Besetzung der blühenden Landschaft. Mit Ihnen kam die Barbarei, die sinnlose Zerstörung, das Plattmachen, das Abfackeln ganzer Städte, die Vertreibung oder Versklavung der römischen “Ausländer”. “Ein Volk, bestehend aus zusammengelaufenen Leuten und Mischlingen, und das bedeutet auch ihr Name”- schrieb, bei allem Respekt, ein Historiker “Alemannische Landnahme” heißt der Vorgang besänftigend in den Schulbüchern. Alles was mit Rom zu tun hatte, wurde zerstört, zerschlagen, geschleift, nicht einmal die Götterskulpturen und die Friedhöfe wurden verschont. Und als sie schließlich die Oberhand gewannen, versank auch die keltisch-römische Villa Cornu in Schutt und Asche, um einige Hundert Jahre später als “Cornelia” in einer Chronik des Mittelalters wieder aufzutauchen. Die Historiker wundem sich, dass man in den nächsten 300 Jahren nichts weiß über die in römischer Zeit prächtigen Stadt, über eine ehemals tatsächlich blühende Landschaft. Die Wahrheit ist: es gab nichts zu berichten. Die Alemannen haben in ihrer Zerstörungswut gründliche Arbeit geleistet: Häuser, Kastell, Tempel, Bäder wurden dem Erdboden gleich gemacht .Sie hinterließen eine Wüstenlandschaft ,die im besten Fall als Steinbruch für die nachfolgenden Jahrhunderte zu benutzen war. Weshalb sie alles zerstörten, statt für sich nutzbar zu machen bleibt, wie jede sinnlose Zerstörung von Kulturgütern, ein Rätsel. Tatsache ist, dass sie eine für damalige Verhältnisse gut entwickelte Kulturlandschaft zum Rodungsland verwüsteten. – man muss nur das schöne Buch “Das römische Germanien aus der Luft” zur Hand nehmen, um ermessen zu können, welche Schäden diese Räuberbanden angerichtet haben. Ein möglicher Grund wäre die Tatsache, dass die Alemannen vorwiegend umherziehende Viehzüchter waren, die mit Städten wenig anfangen konnten. “Das Land selbst bleibt stumm”, schreibt vornehm-diplomatisch ein Historiker. ” Bis 700 n.Ch. sind wir so gut wie ganz auf Bodenfunde aus den Gräberfeldern angewiesen. Die sind ihrer Natur nach einseitig und nicht immer unzweideutig. Über vieles, was wir gerne wüssten sagen sie nichts oder nichts Sicheres aus. Die schriftlichen Nachrichten sind dürftig und zufällig und stammen samt und sonders von auswärts.”

DANN KAMEN DIE FRANKEN
1996 wurde der 1500. Jahrestag der Schlacht von Zülpich in Deutschland weder gefeiert noch fand sie eine besondere Erwähnung in den Medien, obwohl der Tag die Geburtsstunde des christlichen- fränkischen Abendlandes und der Todestag der barbarischen Alemannenherrschaft ist. Hier trafen die Heere des merowingischen Königs Chlodwig und der Alemannen aufeinander. Nach dem Chronisten Gregor von Tours kam es im Jahre 496 zu einem “gewaltigen Blutbad”, die Alemannen waren im Begriff, den Widerstand der Franken zu brechen. Doch im diesem Augenblick warf sich der fränkische König auf die Knie und flehte Gott um Hilfe. Nicht Wotan, sondern den Gott der Christen. Der Chronist: Chlodwigs Heer “war nahe daran, völlig vernichtet zu werden. Als er das sah, erhob er seine Augen zum Himmel, sein Herz wurde gerührt, seine Augen füllten sich mit Tränen und er sprach: ‘Jesus Christ, Chrodichilde ( seine Frau) sagt, du seiest der Sohn des lebendigen Gottes, Hilfe sollst Du den bedrängten, Sieg geben denen, die auf dich hoffen – ich flehe dich demütig an um deinen mächtigen Beistand. Gewährst du mir jetzt den Sieg über diese Feinde und erfahre ich so jene Macht, die das Volk, das deinem Namen sich weiht, an dir erprobt zu haben rühmt, so will ich an dich glauben und mich taufen lassen auf deinen Namen. Entreiße mich aus der Hand meiner Widersacher’ .

Der Sieg der Franken über die “zusammengelaufenen Leute” war vollständig; der alemannische Häuptling ,der Gaukönig wurde noch auf dem Schlachtfeld erschlagen , seine Truppen ergriffen die Flucht. Chlodwig wurde zwei Jahre später getauft und der Bischof Remigius sprach bei der Taufe in Saint-Denis die berühmt gewordenen Worte “Beuge still dein Haupt, verehre, was du verfolgtest, verfolge was du verhehrtest”. Die Franken wurden katholische Christen, in Paris wurde eine Strasse nach der Schlacht von Tolbiac benannt (der lateinische Name von Zülpich hieß “Tolbiacum”) und sie gingen unverzüglich daran, das gesamte merowingische Reich nach römischem ( nicht nach germanischem) Vorbild zu organisieren. In kürzester Zeit wurde das alemannische linke Rheinufer bis zum unteren Main besetzt. Um das Jahr 500 erschienen sie im “stummen Land” am Neckar. Sie gründeten an Stelle der verwüsteten Siedlungen neue Dörfer, bauten Kirchen, stifteten Klöster, errichteten neue Bistümer. Aus der Sicht der Alemannen waren die Franken eine Besatzungsmacht, die, wie Besatzungsmächte im allgemeinen, wenig zimperlich mit den Besetzten umsprangen. Aber sie bringen auch eine neue Kultur, sowie die bewährte römische Verwaltungs-und Finanzstrukturen Galliens mit, von der sie bereits seit gut einem Jahrhundert geprägt wurden.
Die wichtigste Maßnahme ist die Errichtung neuer Militärsiedlungen nach römischem Muster in den eroberten Gebieten – so auch auf dem Gebiet der ehemaligen “Villa Cornu” der VIII. römischen Legion. Die Militärsiedlung umfasst zunächst 1.000 zum Heeresdienst verpflichtete fränkische Krieger, die eine Centene bilden. Es sind sogenannte Freie, franci homines; sie bilden einen geschlossenen Truppenkörper, an dessen Spitzen fränkische Heermannen( im Süden Germaniens heißen sie .Arimannen”) als Befehlshaber stehen. Das verwüstete Land, das sie beschützen und wieder urbar machen sollen, wird Königsgut, die unterworfene Bevölkerung wird zur Rodung und zum Ackerbau gezwungen. Sie sind die künftigen Steuerzahler, indem sie einen hohen sogenannten .Königszins” zu zahlen haben. Im Mittelpunkt der Centene stehen die Kirchen: im heutigen Wimpfen im Tal wird der Grundstock der romanisch-gotischen Kirche gelegt, sie wird dem heiligen Martin, dem Frankenheiligen geweiht. Erst als auch noch ein Kloster entsteht, weihen die Mönche Kloster und Kirche dem Apostelfürsten Petrus, der von den Franken ebenfalls als Schutzheiliger verehrt wird. Es sind im übrigen die Heermannen, deren Aufgabe es ist, die Kirchen zu schützen, die Rodungen zu überwachen, die Missionare zu begleiten und dem König Kriegsdienst zu leisten. Die Heermannen begründen auch den späteren Reichtum der Kirchen, denn sie dürfen namens des Königs, dem sie unmittelbar unterstehen und dem sie verantwortlich sind, Schenkungen machen. Einer dieser Heermannen schenkte namens seines Königs Siegebert große Ländereinen um Wimpfen und die Siedlung im Tal samt Kirche und Kloster dem Bischof von Worms.

Auf dem heutigen Wimpfen am Berg wurde ebenfalls eine Kirche gebaut und dem heiligen Germanus geweiht. Auf dem Gebiet der langsam sich bildenden Stadt entstehen im Verlauf der nächsten Jahrhunderte zwei Zentren: im Tal wird auf den Fundamenten der alten römischen Stadt die fränkisch Militärsiedlung, auf dem Berg ein Königshof der merowingischen Könige errichtet.

Es ist eine friedliche Entwicklung, diese fränkische Kolonisation, die durch Urbarmachung einer verwüsteten Landschaft gekennzeichnet ist. Überall werden Gehöfte angelegt, die im Lauf der Zeit zu Gehöftengruppen zusammenwachsen. Den Anstoß zur Bildung von Dorgemeinschaften geben fast immer Kirchenbauten, so auch in Wimpfen. Auf dem Berg machen die fränkischen Könige immer wieder Halt, veranstalten Gerichtstage, sprechen Recht, “lassen sich gut gehen”. Etliche Strassen laufen bei Wimpfen zusammen, am Neckar findet ebenfalls ein reger Verkehr statt, und so liegt es nahe, dass auch der Königssitz auf dem Berg zu einem bedeutenden Zentrum des austrasischen, des östlichen Frankenreichs wird. Die Könige Dagobert I., Sigibert  und Chilperich halten sich in Wimpfen auf. König Sigibert III, ein Sohn von König Dagobert, hat einen Großteil seines Lebens auf seinem Königshof auf dem Berg verbracht. Er begründete durch zahlreiche Schenkungen von Ländereien den Reichtum des Bischofs von Worms.

DANN KAMEN DIE UNGARN
Die friedlich Entwicklung wurde jäh unterbrochen durch das Erscheinen magyarischer Reiterverbände. Ihr eilte ein Ruf voraus, der nichts Gutes ahnen ließ: ein Volk, das viel grausamer und unbarmherziger war denn das unvernünftige Vieh – schrieb der Chronist Burckardi ab Hallis über die Ungarn, die – nach Angaben des Chronisten- im Jahre 905 vor der Stadt Wimpfen am Berg erschienen sein sollen.” Bürger und Fremde verteidigten gemeinsam die Stadt. Mächtig setzten die Hunnen der Stadt zu, lagerten sich nahe an die Stadtmauer, berannten sie mit Sturmböcken und anderen ähnlichen Werkzeugen, verbargen sich gegen die Geschosse der Belagerten unter ihren Schildern und Sturmdächern. Doch leisteten ihnen die Armbrustschützen und Schleuderer der Christen in der Stadt männlichen Widerstand und schädigten sie sehr. Nachdem nun die Hunnen verschiedene Geschwader in Schlachtordnung gestellt, fielen sie gegen die Tore, griffen zugleich die schwachen Teile der Befestigung an, zerschmetterten die Tore und drangen unter schrecklichem, hellem Geschrei, doch mit großem Verluste in die Stadt, die lieber sterben als in der Heiden Dienstbarkeit geraten wollten. Die tyrannischen, tierischen Hunnen aber teilten den Raub, viel Gold und Silber, fingen die Christenweiber und erdachten eine neue Art, sie zu quälen. Sie schnitten ihnen, damit sie keine Kinder mehr gebären und aufziehen können, die Brüste ab und also geschah es, dass man hinfort die Stadt hora locum priori nomine non nominabant “Wibpein” Da hörte man ein Heulen und Wehklagen bei allen, die von diesen Gräueln hörten, dass man meinte, Jeremias der Prophet habe wiederum seine Klagelieder über Jerusalem angestimmt. Danach zündeten die Hunnen die Stadt an, schleiften Schloss und Stadtmauern und zerstörten sie von Grund auf, wie einst Jerusalem geschah, da kein Stein auf dem anderen blieb. Burkhard von Hall schrieb seine Chronik in der Zeit von 1290 bis 1300, an die 400 Jahre nach dem Überfall durch die Magyaren. Wir wissen nicht, welche Quellen er benutzt hat, wahrscheinlich standen ihm nur mündliche Überlieferungen zur Verfügung als er den Untergang Wimpfens schilderte. Doch man kann seine Schilderung  mit gutem Recht in den Bereich klösterlicher Märchenerzählung verweisen. Freilich, wenn man bedenkt, was der Historiker des Jahres 2006 über Ereignisse schreiben würde, die um 1600 geschahen, ohne schriftliche Quellen, ohne die Schriftlichkeit des Abendlandes, ohne Archive, ohne Internet. Man sollte also den Burkhard von Hall nicht verurteilen, wenn er einiges dazugedichtet hat. In seiner Chronik spricht er vom Gens unnorum et ungarorum. Es waren selbtsverständlich nicht Hunnen, sondern Magyaren, die seit 896 in Pannonien, im heutigen Ungarn siedelten.

Von dort aus unternahmen sie ab 899 Feldzüge, häufig als Verbündete deutscher und oströmischer Herrscher, in Richtung Westen und Süden. In der Zeit von 899 bis 955 führten sie 42 Feldzüge, doch die Truppe, die Wimpfen verwüstete, erschien erst 910 vor der Bergfestung, nachdem sie mordend und zerstörend durch Franken gezogen war. Zweifellos zerstörten sie beide Siedlungen am Berg und im Tal, – von Stadt kann man mit Sicherheit nicht sprechen – und wie andernorts, trieben sie die arbeitsfähige Bevölkerung in Richtung Osten in die Sklaverei, doch die Geschichte mit den abgeschnittenen Brüsten der Frauen gehört ins Reich der abwegigen-sexuellen  Fantasie eines Mönchs. In all den Ländern, die die Magyaren plündernd und mordend heimgesucht hatten,- Italien, Byzanz, Bulgarien, Sachsen, Bayern, die heutige Schweiz, Frankreich – kam es nicht zu derartigen sinnlosen Grausamkeiten.
Weder zeitgenössische noch spätere Chronisten berichten über abgeschnittene Brüste. Dass sie jedoch auch Frauen nicht schonten, zeigt das Beispiel der Heiligen Wiborada, die beim Überfall der Magyaren auf das Kloster St. Gallen misshandelt wurde: sie öffneten die bis auf ein Loch zugemauerte Zelle der Nonne, rissen der betenden und sich geißelnden Wiborada die Kleider vom Leib, sie versuchten, sie von den Ketten zu befreien und verletzten sie beim Gezerre am Kopf. Sie ließen die halbtote Wiborada liegen, die wenig später ihren Verletzungen erlegen war. Die St. Gallener Chronik berichtet sehr detailliert über diesen Vorfall, doch auch hier ist von Brustabschneiden nicht die Rede. Der Chronist Burkhard von Hall wollte offensichtlich den rätselhaften Namen der Stadt Wimpfen, mangels anderer Quellen, deuten und so verfiel er auf die Idee, den Namen Wimpfen von .Weibpein” abuzuleiten, nicht wissend, dass der Name “Vuinpina” bereits 829 in einer Urkunde erschien.

Und wenn wir schon bei der Namensdeutung sind: wenn nicht .Weibpein”, woher kommt dann der Name Wimpfen.?

Das frühe Mittelalter kannte keine Hauptstädte. Die Könige, und später die Kaiser bereisten ständig ihren Herrschaftsbereich. Während die Ehefrauen an einem ausgesuchten Ort verblieben, fuhren die Könige auf schwerfälligen Karren, gezogen von Ochsen, durch das Land. So ein Zug konnte aus mehreren Hundert Leuten bestehen: Krieger, Hofstaat, Geistliche mit der Kanzlei, Ärzte, Chronisten, “Rechtsgelehrte”. Meist wurde auch der Staatsschatz mitgeführt. Bereits die merowingischen Könige haben damit begonnen, entlang der Hauptverkehrswege “Königshöfe” anzulegen, wo man nach den anstrengenden Fahrten halt gemacht hat. Hier konnte man sich dann erholen, jagen, feiern und “regieren”: Schenkungsurkunden wurden ausgestellt , Gerichtstage abgehalten, Urteile gesprochen und vollstreckt. Nach dem Machtantritt der Karolinger wurde dieses Netzt von Königshöfen und Burgen weiter ausgebaut. Wimpfen war eines dieser merowingischen Königshöfe, die im Laufe der Jahrhunderte eine Burg und später Mauern, Wehrtürme und einen Palast erhielt. Reste dieses königlichen Wimpfens sind auch heute noch zu sehen. Um diese Königshöfe entwickelten sich die mittelalterlichen Städte mit Steinbauten und den für Wimpfen typischen Fachwerkhäusern. Bereits 1142 spricht der Bischof von Worms von einer Stadt .Wimphen”, laut einer königlichen Urkunde aus dem Jahr 1223 lebten in dieser Stadt bereits “cives”, das heißt “Bürger”: Kaufleute, Handwerker, homines maiores et minores. Es sind Menschen, die hinter Stadtmauern Sicherheit vor Willkür der Feudalherren suchen und auf ein besseres, freieres Leben hoffen. Wie zur Zeit der Merowinger, machen immer wieder Herrscher des “Heiligen -Römischen Reiches” Rast in Wimpfen: 1182 Kaiser Barbarossa, 1190 und 1193 König Heinrich VI .. Besonders häufig weilt der Sohn des Kaiser Friedrich II., Heinrich in der Stadt. Die Besuche der Herrscher haben für die Stadt eine besondere Bedeutung: mit jedem Besuch kommt es sozusagen zu einem “Aufschwung West”, zur .Ankurbelung der Konjunktur”, zur “Belebung der wirtschaftlichen Tätigkeit”. Denn die hohen Herrschaften müssen versorgt werden mit Essen und Trinken. Und so entwickelte sich die Stadt: aus einer Ansammlung von Gehöften, zu zwei Siedlungen, zu einer  lebendigen Stadt und schließlich zu einer freien Reichsstadt.

Ob man im Laufe der Jahrhunderte sich gefragt hat, woher der für die “deutsche Zunge” schwer auszusprechnde Name kommt, weiß man nicht genau. Eine Anfrage bei dem heute noch gesprochenen Keltisch ( Gaelic,Gaelisch) in Irland und in Schottland  blieb ohne Erfolg. Die Befragten konnten mit dem “mpf” nichts anfangen. Träger dieses Namens berichten, dass  in keinem Land der Welt der Name verstanden wird, immer musste der Namen buchstabiert werden.Ein Zweig der Familie von Wimpffen in den USA hat in den 50ger Jahren des 20. Jahrhunder den Namen abgelegt, da er es satt hatte, ständig als Wimp angesprochen zu weden; Ein Wimp ist im Englischen ein Schwächling im Gegenastz zu einem Macho. Mittlerweile hat das Wort auch in die Computersprache und in die Weltraumforschung Eingang gefunden.

Der Weg in den Dreißigjährigen Krieg

Erst kamen die Soldaten der Evangelischen Union. Dann die Soldaten der Katholischen Union. Dann die Kroaten. Dann die Schweden. Dann die bayerischen Dragoner. Und schließlich erschienen die Franzosen unter dem Befehl des Herzogs von Enghien. Dies geschah am 28.Juni 1645, drei Jahre vor Ende des Dreißigjährigen Krieges. Als sie abgezogen waren, war die stolze Freie Reichsstadt Wimpfen eine entvölkerte Trümmerlandschaft. Die Vorstadt niedergebrannt, die schützenden Mauern niedergerissen, in Wimpfen am Berg wurden 134 Häuser gänzlich zerstört, in den übrig gebliebenen Gebäuden hausten 37 Familien, in Wimpfen im Tal nur noch vier. Der Rest war vor der Soldateska geflohen oder wurde getötet. Als ein Jahr später erneut schwedische Truppen die Stadt besetzten, wunderten sie sich, dass nichts mehr zu plündern gab. Sie verlangten vom Rat der Stadt lediglich 10 680 Gulden “Satisfactionsgeld”, die dreifache Jahreseinnahme der Stadt.

Der Tourist aus Schweden, der das heutige Wimpfen am unteren Tor betritt, wundert sich, dass ausgerechnet nach dem schwedischen König Gustav Adolf, der auf seinen Feldzügen im Reich ganze Landstriche verwüstet hat, eine Straße benannt ist.